
Mai 2023
Das Waldsterben beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Regionen wie Tirol in Österreich. Vielmehr ist es ein europaweites Phänomen, das durch steigende Temperaturen, längere Dürreperioden und Schädlingsbefall immer größere Ausmaße annimmt. Der heiße Sommer des Jahres 2023 hat diese Entwicklung in vielen Ländern weiter verschärft. Insbesondere in den Wäldern des Nationalparks Harz (Deutschland) und in Stilfs (Italien) sind die Folgen dramatisch. Umfang und Geschwindigkeit des Baumsterbens erreichen hier beispiellose Dimensionen.
Das Team der European Wilderness Society besuchte den Harz im Mai/Juni 2023, um die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wald vor Ort zu dokumentieren.
Im Harz, vor allem in den höheren Lagen rund um das Brockenmassiv, sterben Fichten (Picea abies) großflächig ab. Die Landschaft verwandelt sich zusehends in ein Meer aus toten und sterbenden Bäumen. Entlang der Straßen reihen sich tote Bäume aus vergangenen Jahren neben solchen, die erst in den letzten Wochen dem Stress von Trockenheit und Schädlingsbefall erlegen sind. Diese Entwicklung löst bei vielen Menschen ein Gefühl von Trauer und Ohnmacht aus.
Historischer Kontext des Waldsterbens im Harz
Bereits in den 1980er Jahren wurde das Waldsterben im Harz sichtbar. Die Hauptverursacher damals wie heute sind der Borkenkäfer, insbesondere der Buchdrucker (Ips typographus), und verschiedene Pilzkrankheiten. Verstärkt wird dieser Prozess durch die klimatischen Veränderungen, die dem Harz zusetzen.
Ursprünglich war der Harz von Misch- und Laubwäldern geprägt, doch der Bergbau führte dazu, dass über Jahrhunderte hinweg großflächig Fichten als schnell wachsendes Nutzholz angepflanzt wurden. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg war Fichtenholz für den Wiederaufbau und als Heizmaterial gefragt, was zur Monokultur in der Region beitrug.
Klimawandel und aktuelle Situation
Heute zeigen Forschungsergebnisse, dass fast zwei Drittel der Fichten im Harz bereits abgestorben sind. Der Klimawandel, der heiße und trockene Sommer mit sich bringt, schwächt die Bäume und macht sie anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer. Die Käferlarven durchbohren die Rinde und unterbrechen die Nährstoffversorgung der Bäume, was schließlich zum Absterben führt.
Fichten sind an kühlere und feuchtere Klimazonen angepasst und kommen mit den zunehmend heißen Sommern im Harz nicht zurecht. Die Monokultur der Fichte erweist sich als besonders anfällig, und Experten befürchten, dass der Harz bald gänzlich seine Nadelwälder verlieren könnte, wenn sich die Bedingungen nicht ändern.
Waldbewirtschaftung und Zukunftsperspektiven
Die Zukunft des Harzer Waldes ist ungewiss. Förster und Wissenschaftler schlagen vor, die Waldbewirtschaftung auf eine vielfältigere Mischung von Baumarten umzustellen. Besonders heimische Laubbäume wie Eiche (Quercus robur) und Buche (Fagus sylvatica), die besser an die veränderten klimatischen Bedingungen angepasst sind, könnten in Zukunft dominieren. Welche Baumarten sich langfristig durchsetzen werden, wird jedoch hauptsächlich durch natürliche Selektion entschieden werden.
Wissenschaftliche Einblicke
In wissenschaftlichen Studien wird hervorgehoben, dass der Klimawandel nicht nur die Temperatur erhöht, sondern auch die Niederschlagsverteilung verändert. Dies führt zu längeren Dürreperioden, die die Widerstandsfähigkeit von Fichten weiter schwächen. Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie beschleunigt der Klimawandel den Abbau von Biomasse in Wäldern und erhöht gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit für Schädlingsbefall. Besonders in Mittelgebirgsregionen wie dem Harz ist die Anpassungsfähigkeit der Fichte stark eingeschränkt.
Das Waldsterben im Harz und in anderen Regionen Europas ist ein Weckruf. Es zeigt, wie dringend Maßnahmen zur Anpassung der Forstwirtschaft an den Klimawandel erforderlich sind. Es bleibt abzuwarten, ob eine Rückkehr zu resilienteren Mischwäldern gelingt oder ob der Mensch weiter tatenlos zusieht, wie ganze Ökosysteme zusammenbrechen.
„Wenn man sich heute bei Google Maps den Harz ansieht, sieht man noch grüne Wälder. Doch wenn man jetzt auf demselben Aussichtspunkt steht, blickt man auf ein Meer von Zahnstocher-ähnlichen Baumstämmen. Das Waldsterben ist Realität, die wir nicht ignorieren dürfen.“

